Ich war 42 geworden, seit 2 Jahren verheiratet, hatte 10 Kilo Übergewicht und fühlte mich nicht mehr sonderlich fit. Mir fehlte sportlicher Ausgleich, und regelmäßige Bewegung an der frischen Luft. Zum Laufen eignen sich meine strapazierten Knie nicht, ins Fitnessstudio wollte ich nicht. In meiner Schüler- und Studentenzeit bin ich gern und viel Rad gefahren. Nie wirklich leistungssportlich, aber ein paar schöne mehrtägige Touren waren dabei, auch mit Radkameraden die Rennräder hatten. Ich bin eben ein Naturtyp der gern draußen unterwegs ist.
Aber jetzt suchte ich etwas zum Fahren nur zum Spaß. Eigentlich ganz einfach…
Nur leider gefielen mir die neueren, bunten Rennräder aus Carbon alle nicht. Und mit schrillfarbenen martialischem Outfit mich aufs Rad setzen wie heutzutage Mode ist, wollte ich auch nicht. Eigentlich hatte ich gar keine Lust für ein neues Rad gleich tausend oder zweitausend Euro auszugeben. Nicht aus Geldmangel oder Geiz, aber ich wollte mich mit der Anschaffung von teurem Gerät nicht selbst unter Erfolgsdruck und Zugzwang setzen. Obwohl sowas ja typisch männlich ist. Ich wusste ja gar nicht ob ich wieder Spaß dran entwickeln würde. Und drittens war mir klar dass ein modernes und superleichtes, vielleicht auch empfindliches Rad für meine bescheidenen Fitness-Ansprüche völlig übertrieben wäre. Und obwohl ich ja Verständnis für eine Industrie habe, die jedem Radler gern alle 2 Jahre ein neues Rad verkauft – schließlich fördert das die Wirtschaft – bin ich Gegner einer Wegwerfmentalität, und noch in einer Zeit groß geworden wo man bestenfalls alle 10-15 Jahre ein neues Rad kaufte, und es als „normal“ galt dass ein Rad mit etwas Pflege 30 Jahre oder länger hielt. Das tun hochwertige Stahl-Fahrräder selbstverständlich noch heute. Selbst Autos rosten heutzutage ja nicht mehr so dass sie nach 10 Jahren weggeworfen werden müssen. Bei richtig konstruierten Fahrrädern gibt es diese Form der Alterung gar nicht; sie können, jedenfalls im Prinzip, 100 Jahre lang benutzt werden. Ein typisches Altherren-Fitnessrad kaufen wollte ich aber auch wieder nicht… tja, was kauft man da?
Mein Lösungsansatz
Erkennt jemand, der sich viel mit Problemlösungen, Entscheidungsfindung beschäftigt, die Falle die hier lauert??
Nun: Sie besteht darin, jetzt eine lange Liste von „requirements“ (Anforderungen) aufzuschreiben, dann den Markt zu untersuchen was er zur optimalen Zweckerfüllung dazu hergibt… und am Ende kann man sich entweder nicht entscheiden, oder hat ein Rad für mehrere tausend Euro dass man eigentlich gar nicht will. Und die ganze Zeit, die der Entscheidungsprozeß benötigt, geht fürs Radfahren verloren… am Ende hängt das teure, „optimale“ Rad wahrscheinlich wie soviele nach einer kurzen Euphoriephase an einer Garagenwand und setzt Staub an.
Weil ich genau wusste, wie man sich in Punkto Räder „verirren“ kann, wählte ich einen anderen Weg. Ich suchte von vornherein weder nach dem Optimum noch der eierlegenden Wollmilchsau. Ich ging davon aus dass jedes hochwertige Rad meine Anforderungen schon erfüllen konnte, denn ich bin ein ganz normaler Radfahrer. Ich wollte kleine Straßen und Asphaltwege fahren, möglichst zügig, dafür kommt nur ein Rad mit schmalen Reifen infrage. Schutzbleche brauche ich nicht weil ich nicht bei Regen rausfahre. Nur in einem Rennsattel kann man mit ausgestreckten Beinen fahren. Und für Fahrten von länger als einer Stunde war mir der Rennlenker immer der bequemste. Daraus ergab sich ziemlich klar: ich brauchte ein Rennrad.
Für einen, bald, Oldtimer wie mich müsste doch ein Rad aus meiner Jugendzeit passend sein, also den frühen Achtzigern. Zu dieser Zeit, so erinnerte ich mich noch, kam die fortschrittlichste, dabei noch bezahlbare Radtechnik schon aus Japan. Deren Krönung war damals für mich die schöne, aerodynamisch ausgefeilte Shimano AX-Gruppe – so ein Rad hätte ich damals gern gehabt. Deren Technik war nicht bloß ästhetisch, sondern auch durchdacht und dauerhaft – abgedichtete Kugellager an Stellen wo das bisher nicht üblich gewesen war, erhöhten Gebrauchswert und -dauer. Aber da an dieser Technik damals nahezu alles anders, als was am Markt sonst üblich und Standard war, und mein eigenes Rad in allererster Linie praktisch zu sein hatte, hatte ich mich nicht getraut eins zu kaufen. Wie viele andere auch, weshalb diese Gruppe letztlich am Markt floppte. Damals hatte ja, anders als heute, niemand mehr als ein Rad, benutzte es vielleicht sogar jeden Tag, hatte Angst um die Ersatzteilversorgung – es gab noch kein ebay und Internet — und da ging man lieber auf Nummer Sicher und kaufte konservative bewährte Technik…
Drei Wochen nachdem ich begann mich dafür zu interessieren hatte ich einen AX-Renner, ein japanisches NORTA, in fahrbereiten, wenig gebrauchten Zustand, über 25 Jahre alt, bei ebay für 150,- ersteigert. Das Rad stand in Tübingen – dort habe ich mal studiert und bin dort viel Motorrad gefahren, kenne von daher die Landschaft dort ganz gut. Rad gefahren bin ich dort allerdings so gut wie nicht. Trotzdem war meine Lust geweckt das Rad auf Achse heimzuholen! An einem schönen März-Samstag fuhr ich mit meiner Frau auf dem Motorrad mittags vor, ausgerüstet mit neugekauften Radklamotten und Lenkertasche… Rad bezahlt, noch einen Ersatzschlauch umsonst mitbekommen —
Und los ging’s!
In den letzten 10 Jahren hatte ich ungefähr 5x auf dem Rad gesessen — vor mir lagen 200km!
Die ersten Meter. Das Rad fühlte sich etwas hart an, aber nicht total unbequem. So muß sich ein sportliches Rad fahren, erinnerte ich mich.
Der Geradeauslauf war ohne Tadel, trotz der schweren Lenkertasche.
Die ersten 50km bis kurz hinter Pforzheim waren eine ungewohnte Anstrengung, über den Pforzheimer Berg musste ich schieben, dann liess ich’s rollen ins Tal nach Karlsruhe, fand auf dem Weg durch die Stadt auf Anhieb kein Hotel, dachte mir, was soll’s, bog am Schloß ab, fuhr ich im Dunklen ohne Licht durch den Stadtwald, und im ersten Ort durch den ich kam fragte ich in einer Kneipe nach einem Gasthof oder Hotel. Das war gleich um die Ecke, und fünf Minuten später hatte ich ein Zimmer. Die Strecke hatte ich mit Computer über Google-Maps und per GPS vorbereitet. Alles im Plan!
Am nächsten Tag: etwas Muskelkater, aber nichts schlimmes. 130km auf kleinen Asphaltwegen am Rheindamm entlang, mit 3 Fähr- und einem Brückenübergang über den Rhein. Es war eine wunderbare Fahrt bei schönstem Märzwetter, zum Schluß schob der Rückenwind, ohne Panne bis auf einen Reifenwechsel. So ging’s los!
Die alte Technik/ Was man beachten muss
Mit den fädeligen Hakenpedalen war ich bald wieder auf Du und Du. Hauptsache nicht ganz festschnallen, damit man mit den Schuhen immer raus kommt…
Alle mechanischen Teile waren gut geölt und liefen leicht. Qualitativ war das Rad auf so hohen Niveau wie ich vorher noch kein Rad besessen habe. Gebrauchsspuren waren minimal und kaum der Rede wert. Die Bremsen hatte ich natürlich vor Fahrtbeginn geprüft, wie man das bei einem alten Rad immer(!) machen sollte: Die Beläge, hart geworden durch das lange Stehen, quietschten etwas, aber mit der Zeit bremsten sie sich ein. Die Bremszüge waren damals schon rostfrei und mit Innenzughüllen aus Teflon ausgestattet (noch eine Erfindung von Shimano), was für große Zugefestigkeit und nahezu unbegrenzte Haltbarkeit stand. Einer der beiden Schaltzüge hatte zuviel Spiel und wurde mit dem mitgenommenen Sechskantwerkzeug schnell am Straßenrand gespannt. Kettenschaltung mit Friktionsschaltern, also ohne rastende Schaltpunkte, wie bis 1985 noch üblich, war ich ja gewöhnt. Ketten mit gekröpften Gliedern und Schaltkränze mit schrägen Zähnen, was in reibungslosem schnellem Schalten resultiert, gab es bei diesem Rad von 1981 ja bereits. Ich hatte sogar ein bergtaugliches Shimano-Kettenrad für vorne mitgenommen und vor Fahrtbeginn ausgetauscht, weil ich ohne Training die wenig bergtaugliche standardmäßige Übersetzung fürchtete. Die Teile von heute passen noch auf die Räder von damals. Shimano ist da bis heute quasi normgebend…